TAGEBUCH DER KURIOSITÄTEN

Kurioses & Amüsantes, Partiestellungen und Kombinationen, Anekdoten & Hoppalas
- überwiegend aus der gegenwärtigen österreichischen Schachszene.
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Nr. 60: Gefährliches Hobby (25.2.06)

Aus dem Ratgeber für Bewerbungen des Studienführers der Uni Wien:

DER LEBENSLAUF
(...)
5. Erwähnt man Hobbies?
Es ist durchaus üblich, einige Hobbies anzugeben (...) Kurze Stichworte genügen. Außerdem sollte man durchaus die Hobbies in Hinblick auf das Unternehmen auswählen, d.h. bei einem jungen, progressiven Unternehmen wirkt Fallschirmspringen vielleicht beeindruckender als Schach.

Ja ja, altbacken, Kaffeehausspiel, Pensionistenzeitvertreib ...

Die werden's schon wissen. Also Obacht bei Bewerbungen!


Nr. 59: Schachblind (22.1.06)

Mit besonderem Vergnügen studiere ich die psychologischen Fehler, die Ursachen für Schachblindheit: Warum die Läuferdiagonale rückwärts übersehen wird, warum man mit längst geschlagenen Figuren matt setzen will, warum das Röntgenmotiv selten durchschaut wird usw.

An sich bin ich selbst nicht allzu anfällig für die eigentliche Schachblindheit, der letzte grobe Anfall liegt ca. 15 Jahre zurück. Ich ziehe vor, auf normale Weise zu verlieren. Doch gestern...! [kopfschüttel...]

Vielleicht will jemand ausprobieren, ob er an derselben Schachblindheit leidet.

Angerer - Stichlberger, Wien 2006

Kleines Detail am Rande: Die meisten Figuren stehen in der a-Linie!

Als Schwarzer hatte ich genügend Zeit: 1...Dc6 mit Doppelangriff auf g2 und a4 sieht verlockend aus. Zu rechnen ist natürlich mit 2.Lf3. Danach ist der "Figurengewinn" Dxa4 nicht so einfach, denn nach Damentausch kommt Lxb7, es hängt der Ta8, der Sa4 (durch Lc6+), und noch dazu bedroht der Tf1 den Lf5.
Doch die Variante funktioniert: 1...Dc6 2.Lf3 Dxa4 3.Dxa4 Sxa4 4.Lxb7 Tb8 5.Lc6+ Ld7! und dieser Rückzug sichert die Mehrfigur.

Also spielte ich frohgemut 1...Dc6. Es kam 2.Lf3? (Besser ist Tf2.) 2...Dxa4. Ich stand auf, spazierte herum, um mich mit dem Gedanken an den Figurengewinn vertraut zu machen. Zurückkommend fand ich folgende Stellung

Weiß hatte 3.Lxb6 gezogen. Meine Gedanken in Stichworten:
"Völlig außer acht gelassen ... der die Dame deckende Springer ist weg ... oh Schreck, nach Dxb3 axb3 ist der Lb6 nicht zu nehmen ... Damentausch geht nicht ... Dame hängt ... also entweder Dame wegziehen oder mit dem Läufer decken (aber von c2 oder d7 aus?) ..."

Gut 15 Minuten starrte ich auf die Stellung, rechnete und rechnete, um draufzukommen, dass in jeder Variante ein bis zwei Bauern am Damenflügel verloren gehen. Schließlich entschied ich mich für das vermeintlich geringste Übel 3...Ld7??, was aus zwei Gründen durchaus bemerkenswert ist.

1) Weiß zog 4.Lxc5?, was schließlich auch gewann. Doch verpasste er den sofortigen famosen Gewinn 4.e6!!. Denn 4...Dxb3? scheitert am Zwischenschach 5.exd7+, und 4...fxe6?? hat das originelle Matt 5.Lh5# zur Folge.

2) Zurück zur Schachblindheit: Ich kam (im 2. Diagramm) 15 Minuten lang nicht einmal ansatzweise auf die Idee, dass die Dame noch auf eine dritte, ganz simple Art zu decken war. Was tatsächlich eine Mehrfigur ergeben und gewonnen hätte.

Weil die ganze Partie lang soviel Zeugs in der a-Linie stand!



Nr. 58: Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. (20.1.06)

Eben fällt mir ein Detail auf, das kaum öffentlich wahrgenommen wurde, dies aber durchaus verdienen würde. Die letzte Änderung der FIDE-Regeln im vergangenen Juli brachte einige Neuerungen, darunter die geringfügige Umformulierung des Artikel 12 (Verhalten der Spieler).

Bislang hieß es:
Nun heißt es:
Die Spieler dürfen nichts tun, was dem Ruf des Schachsports abträglich ist. Die Spieler dürfen nichts tun, was dem Ansehen des Schachsports abträglich ist.


Bei genauer Betrachtung ist das Ansehen des Schachs halt immer noch bedeutend besser als sein Ruf.

* * *

Auch im englischen Original ist eine entsprechende Feinheit zu erkennen.

Bislang hieß es:
Nun heißt es:
High standards of etiquette are expected of the players. The players shall take no action that will bring the game of chess into disrepute.

Erwarten kann man nämlich bald was...


Nr. 57: Bergab (4.1.06)

Zum Jahreswechsel stellt so mancher für sich diverse Ranglisten, Tops und Flops des abgelaufenen Jahres auf. So auch ich, und folgendes gewann den Preis für den lapidarsten Nebensatz des Jahres.

Großmeisterturnier in Wien. Ein heißer August-Tag, im Hof des Museumsquartiers wogt das pralle Leben. Das wäre ein Ding, denke ich, hier eine Videowall mit Live-Schachübertragung! Ich irre herum, um irgendeinen Hinweis auf das Turnier zu finden. Kein Schild, kein Schachbrett, kein Großmeister, nichts. Schon leicht entmutigt, treffe ich zum Glück auf Michael Ehn, begnadeter Schachhistoriker, Philosoph und Standard-Kolumnist. Er führt mich lange durch halbdunkle, menschenleere Hallen und verwinkelte Gänge, ehe uns eine schmale, steile Stiege bergab in den Turniersaal führt. Ehn, sinnierend, beim Hinuntersteigen: "So tief ist Schach schon gesunken."


Nr. 56: Spielen Sie Schach oder Schaaaaaach? (24.10.05)

Nach jahrzehntelangen Beobachtungen trage ich nun eine revolutionäre Theorie an die Öffentlichkeit: Man erkennt Schachspieler an der Aussprache des Wortes "Schach"!

Deutlicher ausgedrückt: Je länger das A, desto größer die Zuneigung des Aussprechenden zum Schach. Je kürzer das A, desto weniger Beziehung zum Schach hat er! Dies gilt, allenfalls mit wenigen regionalen Ausnahmen, für den gesamten österreichischen Sprachraum.
A A A

Der wahre Schachspieler sagt "Schaach". Im Extremfall, nach schmerzlichen Verlustpartien: "Das blöde Schaaaaach." Etymologische Erklärungen müssen naturgemäß scheitern. Die Ursache ist wohl psychologischer Natur. Im langen A schwingt hörbar eine gewisse Zärtlichkeit, eine Vertrautheit mit. Das Wort erhält auf diese Weise mehr Gewicht, mehr Bedeutung. Ein Ding, das so bedeutend ins Leben eingreift wie das Schachspiel, kann nicht mit einem Krächzlaut abgetan sein, den die militärisch kurze Aussprache von "Schach" ergibt.

Völlige Ahnungslosigkeit beweist übrigens die Färbung ins dunkle A Richtung "Schoch" (außer bei ungarischer Abstammung*). Sogar der Präsident eines großen Landesverbandes soll in seiner Anfangszeit bei "Schoch" ertappt worden sein. Der wahre Schachspieler fühlt sofort die Unrichtigkeit, so wie jeder echte Wiener automatisch fühlt, dass es "Glasl Wosser" und nicht "Glosl Wasser" heißen muss. Laut Peter Wehles Klassiker "Sprechen Sie Wienerisch" deshalb, da Fremd- und Lehnwörter nicht "verdumpft" werden. Passt: Schach ist ein Lehnwort, es kommt bekanntlich vom persischen shah (=König).

Viel Vergnügen beim Verifizieren der Richtigkeit der A-Theorie, es kann zur Sucht ausarten! Allfällige Rückmeldungen höchst erwünscht!

PS: Nachdem die Geschichte in einer KURIER-Kolumne erschienen war, schrieb mir eine Dame aus Ungarn: "Ich habe keine Ahnung, wo Sie ihr Ungarisch-Wissen herhaben, aber die Ungarn sagen ein kurzes A in sakk (s=sch)." Ja, sicher richtig, aber lassen Sie einmal einen Ungarn in Wien nach dem Stadtpark und dem Prater fragen...!
Nun erschien die Story in Schach-Aktiv. Ich bin gespannt!


Nr. 55: 1 Kind = 100 Elo (15.10.05)

Letzter Platz für Judit Polgar bei der Schach-WM. Nach ihrer Babypause wäre ihr Eröffnungsrepertoire zu schwach für dieses Superfeld gewesen, hieß es. An sich müsste man ihr gratulieren, dass sie trotz Kleinkind so mitgespielt hat.

An dieser Stelle kommt IM Dückstein zu Wort: Der Meister ließ einst verlauten: "Ein Kind kostet ca. 100 Elo." (Den Vater wohlgemerkt, für Mütter steht ein diesbezügliches Bonmot noch aus.)

Hm, ein Kind 100 Elo?! Müsste man also pro Kind eigentlich 100 Elo dazugeben...?

Somit beginne ich langsam zu überlegen, mir ein drittes Kind zuzulegen. 3 Kinder = 300 Elo. Wohl die einzige Möglichkkeit, mit meinen 2100 auf elegante Weise doch noch die IM-Norm zu schaffen.


Ihr kleinen Elofresser....!


Nr. 54: Bobby ja, Browne nein (19.9.05)

Nicht alles, was Bobby heißt, hat mit Schach zu tun. Und wiedermal kostete eine Schachfrage bei der Millionenshow viel Geld. Letzten Samstag im ORF. Denn der Computer, der als erster einen Weltmeister besiegte, hieß nicht Yellow Submarine, nicht Black Box, und auch nicht, wie der Telefonjoker meinte, Bobby Browne. Die Kandidatin vertraute ihm und fiel auf 500,- zurück.

Erlebte also ein tiefes, blaues Wunder, ähnlich wie in den "Millionärsgeschichten" Tagebuch Nr. 49 und 19.


Nr. 53: Fingerfehler und Damenproblem (11.8.05)

Seit kurzem werde ich als Berühmtheit angeredet und mit ehrfürchtigen Blicken bedacht. Nicht wegen meiner großartigen Kolumnen. Nicht wegen meines glänzenden Schachunterrichts. Nicht wegen meiner brillanten Schachkombinationen. Sondern - wegen eines Fingerfehlers!

Es passiert, seit in der ORF-Rate-Sendung "Was gibt es Neues" flüchtigst mein Name gefallen ist als jener, der den Begriff "Fingerfehler" zum Erraten eingesandt hat. (Wobei ich an sich nie auf die Idee gekommen wäre einzusenden, aber das ist eine andere Geschichte...) Faszinierend ist jedoch, wie viele Leute in meinem Bekanntenkreis sich abends dieser, na ja, seichten, na ja, Unterhaltung hingeben.

Was ein Fingerfehler ist, erriet das Rate-Team knapp nicht, schlug sich aber achtbar. (Fußfehler beim Tennis war schon ein guter Ansatz.) Wenige Wochen zuvor war jedoch ein anderer Schachbegriff zu erraten: Was ist das Damenproblem? Niemand erriet es, und der Moderator verlas die Antwort. Kennt man gut: Stelle acht Damen auf dem Schachbrett so auf, dass sie sich nicht gegenseitig bedrohen. Kabarettist Andreas Vitasek, routiniert, ließ es sich nicht entgehen, dem verschrobenen Ruf des Schachs gerecht zu werden: "Das ist das erste Mal", meinte er mit ernster Miene, "dass ich net nur die Frage, sondern auch die Antwort net versteh'!"

Schon ok. Lustig.


Nr. 52: Der Herr Bernhard und die Frau Grete (10.5.05)

Wer würde nicht gerne mit Vornamen Biberle heißen? Warum ist das meinen Eltern nicht eingefallen?

Der offiziellen FIDE-Website entnehme ich die Liste der österreichischen Schiedsrichter. Zwischen bekannten Namen wie "Almert, Margit", "Baumberger, Albert" und "Dorazil, Wilfried" scheint in Zeile 3 ein Herr "Bernhard" auf, der mit Vornamen unzweifelhaft "Biberle" heißt. Hoch offiziell.

Zwar kann Herr Bernhard aus Wien sicher nichts dafür, jedoch ist er garantiert hoch erfreut, verbindet ihn dieses Schicksal ja mit niemand Geringerem als mit dem indischen Schachgenie Anand. Dieser heißt bekanntlich mit Familiennamen gar nicht Anand, sondern Viswanathan. Und Anand ist der Vorname.

Tja, Namen, Sprachen, Reihenfolgen... - Ich kann nicht anders, mein Blick fällt immer wieder auf Zeile 11 (oben), es platzt aus mir heraus. Heute wird endlich (in thematisch perfekt passendem Zusammenhang) ein jahrzehntelang höflichst gehütetes Geheimnis verraten:

Preisfrage: Warum spielte das Team von Styria Graz Mitte der 80-er-Jahre beim großen Schachfestival in Pula unter ganz anderem Namen? (Zur allgemeinen Verblüffung und zur diebischen Freude von uns spätpubertären Bürschchen.) Ganz einfach: Weil die geschätzte Frau Mannschaftsführerin die Schwierigkeiten beim Ausfüllen der Nennungslisten, sagen wir, nicht hunderprozentig perfekt meisterte. Die Spalten "Vereinsnamen" und "Mannschaftsführer" müssen wohl irgendwie durcheinander geraten sein...

Und so hieß das Team von Styria Graz das ganze Turnier lang: "Grete Katholnig".


Nr. 51: Raue Sitten (25.4.05)

Gut, dass in heimischen Gefilden eher Plastik-Schachbretter verwendet werden. Garri Kasparow hingegen, mit einem Holzbrett attackiert von einem Ex-Fan ("Als Schachspieler habe ich dich geliebt, aber du gehst in die Politik!"), musste leiden.


Fotos: Federal Post

Aus eigener Erfahrung kann ich diesbezüglich leider nichts Aufregenderes berichten als über einen durchs (Hietzinger) Lokal fliegenden und daran zerbrechenden König. Doch aufgrund der seriösen Quelle ("Chess Companion" von Irving Chernev) hege ich keinerlei Zweifel an folgender Hochleistung: Der Weltrekord im gewaltsamen Aufgeben wird von einem gewissen Ahmed Ben Yussof gehalten: Sieben Mal in einem einzigen Turnier fegte er die Figuren vom Brett und zerbrach selbiges am Kopf des jeweils siegreichen Gegners.


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