Nr. 40: Spür nix, hör nix und i riach nix... (16.7.04)
| Geahnt habe ich es schon, doch jetzt weiß ich, dass ich
ein miserabler Schachjournalist bin. Oder wie würden
Sie einen Schachjournalisten nennen, der nicht weiß, dass
in seinem Wohnbezirk ein IM-Turnier stattfindet. |
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Dem neuen Schach-Aktiv-Heft entnehme ich, dass in Ottakring
ein IM-Turnier stattgefunden hat. Wahrscheinlich spielten die
Internationalen Meister nur wenige Meter von meiner Haustür entfernt.
Dabei hätt ich alles so gern gesehen. Wie man hört: Ein Wirtshauskeller
als Spielsaal, ein Wuzler samt lautstarken Fans in der Mitte,
keine Partieformulare in der ersten Runde, Abreise des Schiedsrichters.
Köpferl in Sand - Wien bleibt Wien!
Nr. 39: Wiener Partie (31.5.04)
Zu meiner Kinderzeit, als man ihn noch mit scharfem ß schrieb,
stand im Wiener Kongresspark ein Riesenschach mit großen
Figuren, das mich aber nicht annähernd so beeindruckte wie das
rote Feuerwehrauto. Beides gibt es längst nicht mehr, und gar manches
ist dort auch nicht mehr so, wie es mal war.
Kürzlich vergnügen sich meine Kinder (mangels Riesenschach)
am gut besuchten Spielplatz, und ich beobachte (mangels Riesenschach)
eine klassische Wiener Großmutter, resolut, energisch,
mit männlicher Stimme und ebensolchem Körperbau. Sie hat alle
Hände voll zu tun, um ihre beiden äußerst lebhaften
Enkel halbwegs zu bändigen.
Plötzlich läutet das Handy der echauffierten Dame.
Ich lausche:
"Hallo? Mir san jetzt im Kongresspark."
(Lauscht einer Frage und antwortet:)
"Na, is gar net so schlimm." (Kleine Pause.) "UNSERE
san die Tschuschen!"
Mit vier Worten findet die Dame nicht nur die kürzeste Version
einer ganzen (Zeit-) Geschichte, sondern erklimmt dieselbe Stufe wie
Torberg, Altenberg, Friedell, Kuh, Polgar, Farkas, Wiener ...
Nr. 38: Außer Takt (12.5.04)
| Im Wiener Arnold-Schönberg-Center
wurde kürzlich die Ausstellung "Schönbergs Schachzüge"
eröffnet. Der berühmte Komponist (1874-1951),
Erfinder der Zwölf-Ton-Musik, entwickelte nebstbei auch
ein Vier-Personen-Schach mit eigenen Figuren wie U-Boot oder Flieger. |
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Ich hatte von Anfang an den leisen Verdacht, dass dies eher als kulturelles
Ereignis zu sehen wäre und sich die Schachszene nicht sonderlich
dafür interessieren würde. Gänzlich sicher war ich mir
dann nach dem folgenden Dialog in Schachkreisen:
Mag. Ehn: "Wer kommt morgen zur Eröffnung der Arnold-Schönberg-Ausstellung?
Ist hochinteressant, der Schönberg hat nämlich ein Schach
für vier Personen erfunden."
Schachfunktionärin: "Ah so, der hat des erfunden? Kummt
der a hin?"
Nr. 37: Beinahe berühmt (8.4.04)
Sie lauert überall am Schachbrett, zu jeder Zeit, in jeder Partie,
an jedem Ort: die große Berühmtheit. Die schachliche Unsterblichkeit.
Die EINE Traumkombination, mit der man in alle Bücher
eingeht. Von der noch die eigenen Urenkel schwärmen werden.
Engel -Tarko, Wien 2004

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Da schlendere ich unlängst durch die Reihen der
Wiener Jugendlandesmeisterschaft. Mein Blick bleibt bei einem
Brett (links) hängen. Der Weiße zieht soeben 1.Dxh7+!!,
steht auf und spaziert mit breitem Grinsen im Turniersaal herum.
"Ich weiß gar nicht, ob ich diesen Zug gesehen hätte",
denke ich. Während Schwarz überlegt, scharren sich die
Zuseher ums Brett. Jugendreferent Kuthan und ich wechseln einen
amüsierten Blick. Ich bin sicher, genau wie ich sucht er bereits
fieberhaft nach einem Versteck für die schwarze Dame...
Es folgen die Züge 1...Kxh7 2.exd5+. Weiß gedenkt,
mit diesem Abzugsschach die De7 zu gewinnen und eine ganze Figur
erobert zu haben. |
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Sein fröhliches Lächeln erstarrt, als Schwarz 2...Te4!!
findet (Diagramm links). Der Weiße schüttelt den
Kopf, das hat er übersehen - offenbar verhaut, die Kombination?!
Mit eingefrorenem Lächeln zieht er rasch 3.Lxe4+??,
vielleicht noch hoffend auf 3...g6?? 4.Lxg6+, doch Schwarz zieht
natürlich 3...Kh8 und spielt die Partie trocken heim.
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Nachher erzählten wir dem Weißen, wie knapp er an der schachlichen
Unsterblichkeit vorbeigeschrammt ist! 3. Txe4!! hätte eine
einmalige Situation ergeben und für Weiß gewonnen: Die schwarze
Dame findet nirgends ein Versteck vor dem drohenden Abzugsschach. Weiß
behält jedenfalls eine Figur mehr.
Das wär's gewesen, eine Kombi, die jedem Großmeister Ehre
gemacht hätte: Damenopfer, Abzugsschach, Parade durch Zwischenzug,
tödliche zweite Abzugsdrohung!
* * * * * * * * *
Das erinnerte mich sofort an eine wunderbare Studie, die dieses
Abzugs-Motiv auf unglaubliche Art zeigt:
Weiß soll gewinnen? Unmöglich, denkt
man, Weiß sollte lieber schleunigst die Dame schlagen und
Remis sichern!
Nein, der grandiose Zug 1.Ld7!! hält die Abzugsdrohung
aufrecht. Die schwarze Dame hat das ganze Brett frei, kann sich
aber nirgendwo vor dem Abzug verstecken. - Außer paradoxerweise
hier: 1...Dh3!!.
Nun aber führt das Abzugsmanöver 2.Tf5+! Kb4 3.Tf4+
zum Gewinn. |

J. Hoch, Schluss einer Studie 1973,
Weiß am Zug gewinnt |
Nr. 36: Unseegliche Vorstellung (1.2.04)
Während eines Schirennens dieses Fernseh-Wochenendes sagte
plötzlich die beste Ehefrau von allen (weil sie's ja gar nicht
ist) zu mir: "Stell Dir vor, Schach wird Sport und ...!"
Entsetztes Schweigen trat ein. Welche Vision! Schach würde
endlich als Sport anerkannt. Und würde live stundenlang
im TV-Sport-Nachmittag übertragen werden. Und dann? Dann? Ja dann,
dann würde Robert...
Schach als Sport? Bitte alle diesbezüglichen Bemühungen
sofort einstellen! Noch ein Glück, dass Robert Seeger nur Schirennen
und noch keine Schachpartien kommentiert.
Und inbrünstig Recht geben wir Frau Pollak aus Torbergs Tante
Jolesch, dass Gott einen behüten soll vor allem, was noch ein
Glück ist.
Nr. 35: Hamarats Rezept (20.1.04)
Wollen Sie neben Rauchen und Trinken allenfalls auch Schach aufgeben?
Nun weiß ich endlich, wie's geht.
Gestern machte ich ein Interview mit dem erstaunlichen Tunc Hamarat,
der soeben das Kunststück zuwege brachte, Fernschachweltmeister
zu werden (hier mein Manuskript,
falls es interessiert). "Ich habe Schach satt!", verblüfft
der Weltmeister. "Das ist so wie ein All-Inclusive-Buffet. Wenn
Sie einige Tage gevöllert haben, können Sie das Essen nicht
mehr sehen."
Nach dem Verabschieden, als leisen Nachsatz, schenkte mir der Philosoph
ein Zaubermittel:
"Und wenn Sie einmal Schach aufgeben wollen, dann treffen Sie
sich 10 Minuten mit mir, dann geht die Lust weg!"
Nr. 34: Bluff (5.1.04)
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Warum lacht der Spieler rechts so? Ist dieses Lachen
a) fröhlich
b) freundlich
c)fies?
Fotos können Geschichten erzählen. Schnappschüsse
von Schachpartien können ganze Tragödien offenbaren.
Ein Foto von meinen Ferien-Schachcamps. Die Miene des Weiß-Spielers
(links) lässt erkennen: Er hat verloren. Ja, der Arme ist
in ein Grundlinienmatt gelaufen. Schon hat er begonnen,
die Figuren zusammenzuschieben (wie man an den Bauern merkt, die
ursprünglich auf der 2. Reihe standen). Also: Wie ist das
Lachen des Schwarz-Spielers (rechts) zu deuten?
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Fotos: Kova
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Das nächste Foto zeigt, wie.
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Denn die Schlussposition lässt die Tragödie vor unseren
Augen auferstehen. Weiß hatte zuletzt mit Te1xe6
Material gewonnen, dabei aber das Matt durch Dc3-a1 übersehen.
Deshalb lacht der Schwarze. Aber nicht nur. Das Lachen ist weit
fieser: Er freut sich gerade diebisch darauf, dem Weißen
den Zug Te6-e1+ (Schach!) zu zeigen, womit dieser verdient
gewonnen hätte: Nicht nur ist das vermeintliche Matt abgewehrt,
sondern auch die Dame a1 erobert.
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Alles ein Bluff. Schach - ein Glücksspiel! Aber
das wissen wir ja zur Genüge. Viel "Glück" 2004!
Nr. 33: Brutus - blöder wie mei Hund (24.11.03)
19.51 Uhr MEZ. Soeben schlägt Computer Brutus seinen
Kollegen Fritz, der immerhin vorige Woche das Duell gegen
Kasparow unentschieden gehalten hat. Jetzt liegt Brutus bei der
Computer-WM in Graz alleine in Führung.
| Das wär' was, Österreichs
Brutus Weltmeister! Und der Vöcklabrucker Meisterprogrammierer
Dr. Christian Donninger, auch Schi-Langlaufwart im Waldviertel,
als Weltmeistermacher!
In Tagebuch-Geschichte Nr. 8 habe ich seinerzeit weitere
Donninger-Schnurren versprochen. Brauch ich ja nur abschreiben,
was Chrilly heute im Radio- Ö1-Feature "Leporello"
von sich gab. Eine Düse!
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Foto: Chess 03
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"I zum Beispiel spiel nimmer gegen a Programm, bin ja net
wahnsinnig."
Sicher spielt Donninger gerne Schach?
"Na. Überhaupt net."
Ob ein Match gegen Kasparow zustande kommt?
"Ja, wenn er si traut!"
Und weiter:
"Der Kasparow is net sehr guat!"
Ah so ?!?!
"Also is a guater Schachspieler, aber spielt gegen Programme
schlecht."
Donninger schimpft auch mit Brutus. Wie?
"Na ja, Trottel du, oder so. Blöder wie mei Hund!"
Die Begründung: Wenn im Raum, wo Brutus spielt, ein Feuer ausbricht,
würde Brutus munter weiterrechnen, während der Hund wenigstens
so g'scheit wäre, hinauszurennen! - Bestechend!
Nr. 32: Kronische Schach-Abstinenz (21.11.03)
In der Kronen-Zeitung entdecke ich ein Foto, mit dem für
das Wiener Spiele-Fest geworben wird. Nicht mit einem der unzähligen
neuen Spiele, sondern mit dem ewigen Dauerbrenner "Schach"
- wie erfreulich!
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Nach den Zügen
1.e2-e4 e7-e5
2.Lf1-c4 Sb8-c6
will Weiß gerade mit 3.Dd1-f3 Schustermatt drohen.
Der Blick des Schwarzen lässt ahnen, dass er nicht drauf
reinfallen wird.
Alles ok am Brett, oder?
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Foto: Krone
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Apropos Schach und Kronenzeitung. Warum gibt's in der Krone
seit Jahrzehnten hartnäckig keine Schachkolumne? Das geht der Fama
nach auf einen alten Streit aus den 70-er Jahren zwischen ÖM
Ing. Gerhard Bruckner, inzwischen verstorbenem Schach-Hans-Dampf-in
allen-Gassen, und Krone-Chef Hans Dichand zurück. Da flogen
die Fetzen bis zur Gerichtsanhängigkeit. Und Dichand soll gesagt
haben: "Solange ich lebe, kommt mir nie mehr Schach in die Krone!"
PS: Schauen Sie mal auf die Nummerierung!
Nr. 31: Worauf es ankommt (17.10.03)
Fast hätte ich soeben einen Auffahrunfall gebaut. Hängt doch
allerorts ein Werbeplakat mit Schach herum. Nicht FÜR
Schach, aber immerhin MIT Schach. Wie erfreulich, dass sich die
Werbewirtschaft der positiven Attribute des Schachs bedient.
Wir haben ja seinerzeit eine große Werbekampagne FÜR
Schach vorgeschlagen. Und dafür bereits massenhaft Fotos in
der Schublade. Das Affichieren von Portraits von Schachspielern, und
darunter der Text: "Trotzdem Schach spielen!"
(Ich entschuldige mich halbherzig für diesen geschmacklosen Scherz.
Jetzt grübeln immerhin alle, die je von mir fotografiert wurden.)

Uniqa
Also, zurück zum Uniqa-Werbeplakat, ein wirklich schönes
Bild, ein Meisterfoto. Nicht nur die Tatsache des Sujets überhaupt
ist erfreulich, sondern auch der richtige Beistrich im Text. Aber was
die Hauptsache ist, die Figuren stehen richtig! Oh Wunder! Keine
Fantasiestellung wie üblich (in anderen Tagebuchgeschichten zuhauf
zu sehen), eine sinnvolle, alltägliche Stellung.
So viel erkennt man: König g1, Dame e2, Türme f1 und d1,
Springer c3 und f4, Läufer b2, Bauern h2, g2, f2, d3, b3, a2. Sollte
es gelungen sein, dass in Verbindung mit Schach alles richtig ist?
Nein. Wieder nicht. Was ist falsch?
? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ? ?
? ? ? ?
Auflösung:
In der Brille sieht man die Stellung doch gespiegelt! Damit sind
zwei Anfänger am Werk, die nicht einmal das Brett richtig aufstellen
können! Es ist um 90 Grad falsch aufgestellt (weißes Feld
a1). Weiß hat (womöglich ein Feld zu weit) lang rochiert,
und die Figuren stehen dämlichst herum.
Aber - kommt's darauf an?
PS 20.10.:
Aufgrund der massiven Leserreaktion stelle
ich den philosophischen Gedanken in den Raum, ob der "Fehler"
aus optischen Gründen bewusst gemacht wurde. Ich jedenfalls hätte
ihn ung'schaut absichtlich eingebaut (und traue dies auch den Plakatmachern
zu).
Denn wie wir ja wissen, ist es oft besser, etwas falsch zu machen. (Siehe
dazu auch die Tagebuchgeschichten 6 und 26.)
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