NICHT NUR EIN SPIEL
Der harte Alltag der Schachprofis
Meisterdenker zwischen 8 Stunden Training und Kampf ums Preisgeld

 

Schachprofi müsste man sein. Wie Wladimir Kramnik. Oder Peter Leko. Die machen drei Wochen Urlaub am feudalen Lago Maggiore, spielen jeden zweiten Tag eine Partie und teilen sich zum Schluss eine Million Schweizer Franken.

„So rosig sieht der Alltag der Schachmeister nicht aus“, meint Damengroßmeisterin Eva Moser, 22, die eben an die tolle 22. Stelle der Damenweltrangliste vorstieß. „Gut vom Schach leben können weltweit nur ca. 100 Spieler. Für tausende Profis ist das Leben ein Kampf, um mit ein bisschen Preisgeld die nächste Miete zahlen zu können.“ Ein Dilemma: Spitzenschach ist viel zu aufwändig, um es als Amateur zu betreiben; als Profi jedoch können sich nur wenige durchschlagen.

Die Kärntnerin aus Spittal an der Drau wird bei der in einer Woche beginnenden Schacholympiade das österreichische (Herren!)-Team auf Brett 1 anführen - ein absolutes Novum! „Im letzten Monat habe ich dafür täglich fünf Stunden trainiert“, sagt sie.

Und wie bereiten sich ein Kramnik, ein Leko vor? „Sechs bis acht Stunden Training pro Tag sind nötig,“ erklärt Moser. „Gespielt wird kaum, vielmehr gearbeitet: Endspieltheorie, Eröffnungsfeinheiten, Analyse typischer Strukturen, Studium der Partien des Gegners.“ Ob wie Leko und Kramnik mit Trainerstab (Moser lacht: „Schön wär’s!“) oder allein im Kämmerlein, doch stets mit dem unverzichtbaren Computer. Per Datenbank lassen sich in Sekundenschnelle sämtliche Stellungen aller Meisterpartien abrufen.

Will man wirklich Profi werden, sollte man früh anfangen. „Mit drei Jahren“ scherzt Eva Moser mit einem Körnchen Wahrheit. Turnierschach ab sieben Jahren wird nötig sein. Talent ist Voraussetzung, aber bei weitem nicht genug. Der Ukrainer Sergej Karjakin, der er mit 12 Jahren jüngster Großmeister der Schachgeschichte wurde, analysiert: „In erster Linie war es die Konsequenz harter Arbeit, guter Trainer und guter Sponsoren.“ Die Ukraine mit hochklassigen Schachschulen und Trainern ist zurzeit die Talenteschmiede Nr. 1.

In Österreich versuchen sich ca. zwei Dutzend Unentwegte als Vollprofis. „Ausschließlich vom Spielen kann nur Staatsmeister Niki Stanec leben“, schätzt Eva Moser. Der Wiener Stanec, 36, ist Großmeister und Nr. 245 der Welt. Kein Österreicher hat die Chance, auch nur in die Nähe des Weltmeistertitels zu kommen. Zu isoliert sind die heimischen Talente. In den Schulen fällt den Sparmaßnahmen Schach als erstes zum Opfer. Der Schachbund nagt am Hungertuch. Und potente Sponsoren, die Weltklassetrainer finanzieren würden, gibt es keine.

BWL-Studentin Eva Moser wagt den Spagat zwischen Studium und Profischach. „Ich möchte sehen, wie weit ich im Schach komme. Dafür studiere ich gern ein paar Jährchen länger.“ Und ist sich sicher: „Wegen des Geldes Schachprofi werden zu wollen, ist absurd! Eher aus innerem Antrieb.“


WIE WIRD EIN ÖSTERREICHER WELTMEISTER?
Der Fahrplan:

Ein hoch talentierter 3-Jähriger müsste

- bis 10 Jahre zwei Stunden täglich trainieren
- eine Riesenfirma als Sponsor ködern (Stronach?)
- drei Topgroßmeister (darunter Karpow) als Privattrainer verpflichten
- ab 10 Jahren 6 Stunden täglich trainieren
- ab 12 die Schule extern absolvieren und von Turnier zu Turnier reisen
- mit spätestens 15 Großmeister sein
- mit 16 Sekundant Lekos bei dessen letztem WM-Kampf sein
- mit 20 den WM-Kampf 2021 in Wien gewinnen

 

© Martin Stichlberger, erschienen im Kurier (12.10.2004)


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